AGGRESSION GEGEN EUROPA
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Verteidigungskriege - Aggressionskriege: gegen den Standpunkt der Sozialisten entbrannte beim Ausbruch des europäischen Konflikts 1914 eine grosse Polemik über diese Unterscheidung.
Für vernünftige Leute ist dies normalerweise ganz einfach: Regierung, Staat, Vaterland, Nation, Rasse (ohne alles so genau zu nehmen) sind zu einem einzigen Subjekt (begabt mit Unrechts-, Rechts- und Pflichtbewusstsein) verschmolzen - so wie sich ja alles auf die menschliche Person reduziert und auf die mickrige Lehre ihres Verhaltens, das entweder der christlichen Moral entstammt oder dem natürlichen Recht, oder dem angeborenen Sinn für Gerechtigkeit und Gleichheit oder, um sich komplizierter auszudrücken, der Ethik des kategorischen Imperativs. Wie sich also der gerechte und dem Bösen fernstehende Mensch gegenüber dem Aggressor verteidigt (lassen wir die Sache mit der »anderen Wange« für einen Moment beiseite), so besitzt das angegriffene Volk das Recht sich zu verteidigen: zwar ist der Krieg barbarisch, aber die Verteidigung des Vaterlandes ist heilig; jeder Bürger soll sich demokratisch für den Frieden und gegen den Krieg aussprechen, aber in dem Augenblick, in dem sein Land überfallen wird, muss er sich zur Verteidigung gegen den Invasoren bereithalten! Dies gilt für den einzelnen, dies gilt ebenso für die gesamte, zur Person erklärten Nation, dies gilt also auch für die Parteien, welche wiederum als in ihren Pflichten personifizierte Subjekte handeln und behandelt werden, dies gilt für die Klassen.
Heraus kam der allgemeine Verrat am Sozialismus, die Kriegshetzerei an allen Fronten, der Triumph des Militarismus in allen Sprachen. Und nicht weniger augenscheinlich wurde kein Krieg geführt, den Staat und Regierung nicht als Verteidigungskrieg bezeichnet hätten.
Die marxistische Polemik begann zunächst einmal damit, das Feld von all diesen gespenstigen einköpfigen, mehrköpfigen, kopflosen oder mit dem Kopf eines anderen versehenen Personen zu räumen, wobei an deren Stelle wieder der Charakter und die Funktion jener Organismen trat, die wir Klassen, Parteien, Staaten nennen und deren eigene historische Dynamik zu erforschen ist, wozu die guten alten moralischen Prinzipien nicht taugen.
Der Bourgeoisie wurde geantwortet, dass die Proletarier kein Vaterland haben; dass die proletarische Partei ihre Ziele durch den Bruch der inneren Fronten zu erreichen sucht, wozu die Kriege optimale Gelegenheiten bieten; dass die historische Entwicklung nicht in der Grösse oder in der Rettung der Nationen erblickt wird; dass man sich auf den internationalen Kongressen schon darüber einig geworden war, alle Kriegsfronten zu brechen, dort beginnend, wo es am besten möglich ist.
Innerhalb eines langen, nicht nur verbalen Kampfes zersplitterten sich die Verfälscher des Marxismus, die mit unterschiedlichen Methoden und mit tausend Zungen versuchten, die Theorie zu widerlegen, nach der das Proletariat als, zunächst nationale, Klasse nur auftreten kann, wenn es, wie Marx lehrte, gegen die zertretene Bourgeoisie seine Diktatur verwirklicht; die Verfälscher ersetzten die Theorie durch eine andere, nach der das Proletariat und seine Partei nur nationalen Charakter annehmen, wenn politische Demokratie und Liberalismus verwirklicht sind.
Ausführlich wurde dargelegt, wie verschieden die Probleme sind, je nach den Auswirkungen, die die Kriege, ihr Verlauf und ihr Ausgang, auf den inneren und weltweiten Gang des sozialistischen Klassenkampfes und auf das Verhalten der sozialistischen Partei in den kriegführenden Ländern ausübten, da die Kontinuität, die Selbständigkeit, die hartnäckige Klassenopposition, die theoretische und materielle Disposition gegenüber dem sozialen Kampf seitens der revolutionären Partei Voraussetzung für jede Ausnützung neuer Bedingungen oder neuer Instabilitäten von Regimen sind.
Nachdem jede Art von Einverständnis mit dem Krieg von Staaten oder Regierungen negiert worden war, fiel jede unterschiedliche Behandlung von Verteidigungs- oder Angriffskriegen flach, ebenso wie jede mit verqueren Unterscheidungen begründete Rechtfertigung, die das Überlaufen der Sozialisten zur Front der nationalen Einheit richtig erscheinen lassen sollte.
Zum anderen zeigt die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe Aggression und Invasion, wie hohl der Vergleich mit zwei sich befehdenden Personen ist. Selbst zwei in eine Rauferei verwickelte Rotzjungen sind darauf bedacht, unter grossem Geschrei zu erklären, dass der andere angefangen habe; wenn sich jedoch auf die Integrität des Territoriums berufen wird, liegt die Sache völlig anders. In den einstigen Kriegen, wie im I. Weltkrieg, wurde die Unverletzlichkeit des Individuums sehr wohl verletzt, eben die der Frontsoldaten, für Zivilisten hingegen, weit weg von der Front, war das Risiko zu sterben praktisch gleich Null. Fällt dagegen eine feindliche Armee in ein Territorium ein, dann haben wir das übliche Bild der Zerstörung häuslicher Familienherde vor uns, das Bild von Gewalt gegen Frauen und Wehrlose, usw. - alles Propagandamaterial, von dem reichlich Gebrauch gemacht wurde, um die sozialistischen Parteien in die Falle zu locken. Auch der besitzlose Arbeiter, sagte man, der schon reif ist, für Klassenziele zu kämpfen, hat noch etwas zu verlieren und sieht seine vitalen Interessen im materiellen und unmittelbaren Sinn bedroht, wenn ein feindliches Heer in Stadt oder Land einfällt, in dem er lebt und arbeitet. Ergo muss er sich bereithalten, den Invasoren zurückzuschlagen. Eine belletristisch wirkungsvolle These. Wir sind bei der organisierten Verteidigung des Schlosses eines Namenlosen gegen die räuberischen Landsknechte, wir sind beim Rhythmus der Marseillaise:
»Ils viennent jusque dans vos bras, égorger vos fils et vos compagnes« (1).
Ohne auf die kritisch-historische Bewertung des unterschiedlichen Charakters von Kriegen (was ihre Rückwirkungen auf die Entwicklung des sozialen Kampfes und auf die revolutionären Krisen betrifft) zu verzichten, entgegneten die Marxisten auf solche Rührseligkeiten immer wieder, dass all diese Rechtfertigungen (nur dazu da, Kanonenfutter zu finden und die dem Militarismus in den Weg tretenden Bewegungen und Parteien zu zersplittern) haltlos sind und sich gegenseitig disqualifizieren. Das so weidlich missbrauchte Argument der Aggression und das nicht minder ausgenützte der Invasion können durchaus in Widerspruch zueinander geraten. Z.B. kann ein Staat den Krieg beginnen, infolge militärischer Rückschläge kann sein Territorium jedoch sehr schnell selbst Ziel eines Invasoren sein, wie es die Togliattische Theorie der Verfolgung des Aggressors vorsieht.
Nicht weniger widersprüchlich sind die anderen famosen Begründungen, die auf nationale oder irredentistische Forderungen setzten; oder solche, die nicht sehr wählerische Marxisten anführten, um die Unterstützung von Kolonialkriegen zu rechtfertigen, welche dazu dienten, dass »barbarische« Länder den Charakter der modernen kapitalistischen Wirtschaft annähmen. Der englisch-burische Krieg von 1899-1900 war eine offenkundige Aggression, die burischen Kolonen verteidigten das Vaterland, die nationale Freiheit und die Unverletzlichkeit ihres Territoriums, aber den Labouristen gelang es, das britische Unternehmen als progressiv hinzustellen. Der Krieg Italiens gegen seinen Ex-Verbündeten Österreich im Mai 1915 war ebenfalls ganz klar eine Aggression, aber die verschiedenen Sozialverräter rechtfertigten ihn, indem sie als Beweggrund die Befreiung Trients und Triests, wie auch »Krieg für die Demokratie« anführten - ohne dadurch in Verlegenheit zu kommen, dass sich Österreich-Ungarn an der anderen Front mit den zaristischen Armeen herumzuschlagen hatte.
Ein klassischer Fall ist in dem höchst interessanten Buch von Bertram D. Wolfe: »Drei, die eine Revolution machten. Lenin, Trotzki, Stalin« wiedergegeben; das Buch aus dem Jahre 1965 ist eine wahre Fundgrube historischer Daten, bei allen Vorbehalten gegenüber der Linie des Verfassers. À la Pearl Harbour griffen die Japaner am 6. Februar 1904 - ohne Kriegserklärung - die russische Flotte vor Port Arthur an und vernichteten sie. Ganz klar eine Aggression. Nach der langen Land- und Seebelagerung fiel die Festung im Januar 1905. Dumpfer Schmerz für den russischen Patriotismus. In der »Wperjod« vom 14. Januar 1905 schrieb Lenin Sätze wie folgende:
»Das Proletariat hat allen Grund, sich zu freuen...«.
»Nicht das russische Volk, sondern die Selbstherrschaft hat eine schimpfliche Niederlage erlitten. (...) Die Kapitulation Port Arthurs ist der Prolog zur Kapitulation des Zarismus. Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende, aber jeder Schritt zur Weiterführung des Krieges bedeutet eine unermessliche Verstärkung der Gärung und Empörung im russischen Volk und bringt uns dem Beginn eines neuen grossen Krieges näher, des Volkskrieges gegen die Selbstherrschaft« (2).
Die ganze Frage verdiente genaueste Analysen, weil man die Gesamtheit der Fragen über die historischen Verhältnisse zwischen dem Absolutismus, der Bourgeoisie und dem Proletariat zu klären hatte, wobei der angebliche Widerspruch, den der genannte Autor zwischen der Leninschen Lehre und dem Leninschen Werk glaubt zu entdecken, durch die marxistische Dialektik gelöst wird. Hier reicht es zu bemerken, dass die Schrift des isolierten Verbannten von demselben Inhalt lebte, den die wenige Monate später aus der nationalen Niederlage hervorgehende riesige revolutionäre Schlacht Russlands von 1905 hatte.
40 Jahre vergingen; am 2. September 1945 kapitulierte das von den Amerikanern durch die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki geschlagene Japan bedingungslos. Obwohl Russland den Japanern erst ein paar Stunden vorher den Krieg erklärt hatte, übermittelte Marschall Stalin am gleichen Tag folgende Siegesproklamation:
»Die Niederlage der russischen Truppen im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 lastet schwer auf der Erinnerung unseres Volkes, denn sie ist eines der traurigsten Kapitel in unserer Geschichte. Unser Volk wartete und hoffte auf den Tag, an dem Japan in die Knie gezwungen und der Schandfleck zum Verschwinden gebracht sein würde. Vierzig Jahre lang haben wir, die Männer der älteren Generation, diesen Augenblick ersehnt und jetzt ist er gekommen!« (3).
Die eindrucksvolle Geschichte der Kriegsbefürwortungen liefert also entscheidende Argumente zur Stützung des Leninschen revolutionären Defätismus, der taktischen Norm, dass die proletarischen Parteien durch wie auch immer geartete Zugeständnisse nicht weiterkommen können, ohne die Arbeiterklasse der Willkür staatlich militärischer Manöver auszuliefern. Es reicht dann schon, dass diese Staaten durch eine kurze Note den Stein ins Rollen bringen, auf dass Gefahr für Nation, Boden und Ehre ausgerufen werden kann: Jede Empfänglichkeit gegenüber derartigen Argumenten wird der Ruin der nationalen und internationalen Klassenbewegung sein. Als die italienische Aggression von 1915 mit dem Fall Caporettos zur Invasion führte, liess dies die verdienstvolle Opposition der italienischen Sozialisten ins Wanken geraten: »Das Vaterland ist auf dem Grappa!« war der Ruf Turatis, obwohl sein Bruder im Geiste Treves gewagt haben soll, zu sagen, dass »ein weiterer Winter nicht mehr im Schützengraben verbracht werden« dürfe (4).
Mehr noch, die bürgerlichen Staaten und Regierungsparteien prägten die Theorie der Lebensräume, der Präventivinvasion, des Präventivkriegs, was mit dem nationalen Wohl begründet wurde. Gründe, die nicht eines realen historischen Gehalts entbehren, jedoch Revolutionäre nicht beeindrucken dürfen, genausowenig, wie sie sich durch Begründungen irreleiten lassen dürfen, die mit der Verteidigung und Freiheit der reinsten und unschuldigsten (wenn es sie denn gäbe) kapitalistischen Regierung hantieren. Eben der Krieg von 1914 - als teutonische Aggression in die Welt posaunt - war ein englischer Präventivkrieg. Jede Regierung macht ihre Interessen und Lebensräume nach Belieben aus; die eigenen Landesgrenzen am Rhein und Po zu ziehen, ist ein jahrhundertealtes Spiel Englands - ein Spiel, das schon so oft die Freiheit gerettet habe, während dieselbe durch den Anspruch Hitlers, die eigenen Grenzen jenseits der Sudeten und bei Danzig zu ziehen, tödlich verletzt worden sei... Danzig, das sich wenige Kilometer ausserhalb oder auch wenige Kilometer innerhalb des in der demokratischen Meisterleistung des Versailler Vertrags entstandenen Polnischen Korridors befand.
Die Kriege werden in Revolutionen umgewandelt werden können: unter der Bedingung, dass (gleich, wie die Beurteilung der Kriege, die die Marxisten durchzuführen haben, auch ausfällt) in jedem Land der Kern der revolutionären Bewegung der internationalen Klasse überlebt, und zwar vollständig losgetrennt von der Politik der Regierungen und den Operationen militärischer Generalstäbe; unter der Bedingung, dass diese Kerne sich auf theoretischem und taktischem Gebiet keinerlei Illusionen machen, was die Möglichkeiten der kriegführenden herrschenden Klasse, ihrer politischen, staatlichen und militärischen Organisationen zum Defätismus und zur Sabotage angeht.
Wir haben übrigens schon früher geklärt, dass es keinen Grund gibt, sich über diesen Defätismus zu empören: alle unsere Gegner, ob angebliche Revolutionäre oder echte Bourgeois, haben ihn in verschiedenen Fällen und an verschiedenen Orten hochgehalten und angewandt. Bloss dass in allen diesen Fällen der Defätismus nicht den dialektischen Inhalt der revolutionären Eroberung eines neuen Klassenregimes hat, sondern den einer Auswechslung der politischen Generalstäbe im Rahmen der bestehenden Ordnung. Defätisten dieser Art riskieren zwar grosse Worte, aber kaum Kopf und Kragen für die vage Aussicht darauf, ein momentanes Regime durch einen verlorenen Krieg zu Fall zu bringen, denn nur dann könnten sie sich Hoffnungen auf persönlichen Erfolg und die Bürden der Macht machen. Weshalb es diese Ehrenmänner mit ihren patriotischen, nationalen, liberalen und demokratischen Beweggründen vorziehen, nicht zimperlich zu sein, sobald sich die Gelegenheit ergibt, das Land und seine Bevölkerung materiellen, und gemäss der modernen Kriegstechnik, durch zerstörerische Bombardements zu zerquetschen und durch die ganzen unvermeidlichen Manifestationen kriegerischer Aktion und militärischer Besetzung zu zerfetzen.
Nachdem wir dies zum x-ten Mal bekräftigt haben, wollen wir sehen, von welcher Art der eventuell nächste, von Seiten Amerikas geführte Krieg sein wird, für den riesige Militärkredite vergeben, Versammlungen der Generalstäbe einberufen, Aufrüstungsorder und strategische Anordnungen an fremde und weit entfernt liegende Länder gegeben werden. Er könnte sich, unter dem Aspekt literarischer Argumente, als der edelste aller Kriege erweisen, es könnte gelingen, noch dunklere Gestalten als die der Cecco Beppes, Wilhelms, Benitos, Adolfs, Togos (5), oder einen mit bluttriefenden Händen wiedergeborenen Zar Nikolaus hervorzubringen - sowas würde revolutionäre Marxisten, egal wo, nicht dazu bringen, freundlichere Worte für den antibürgerlichen und antistaatlichen Kampf zu finden.
Was nicht heisst, kein Recht zu haben, diesen Krieg zu analysieren und ihn als vernichtendstes Aggressions-, Invasions-, Unterdrückungs- und Versklavungsunternehmen der gesamten Geschichte zu bezeichnen. Es handelt sich nicht einfach um einen eventuellen und hypothetischen Krieg, denn er ist bereits im Gange, da dieses Unternehmen eng mit der Fortsetzung der Interventionen in die europäischen Kriege von 1917 und 1942 verknüpft ist, und da es sich im Grunde um die Krönung jener Konzentration einer riesigen Militär- und Zerstörungskraft und um die der Verteidigung des bestehenden Klassenregimes handelt, sowie um den Aufbau des Optimums an Bedingungen, die geeignet sind, die Revolution der Arbeiter, gleich in welchem Land, zu ersticken.
Dieser Prozess könnte sich auch ohne einen Krieg im klassischen Sinne zwischen Amerika und Russland entwickeln, falls die Vassalität Russlands sichergestellt werden kann. Und zwar, statt durch militärische Mittel und einen eigentlichen Zerstörungs- und Besatzungsfeldzug, durch den Druck der vorherrschenden ökonomischen Kräfte des stärksten kapitalistischen Verbundes in der Welt (der vielleicht morgen in der anglo-amerikanischen Staatseinheit besteht, von der schon geredet wird); oder vielleicht durch einen Kompromiss, auf den die russische Führung zu hohen Konditionen eingehen würde - Stalin soll die Zahl schon präzisiert haben: zwei Milliarden Dollar.
Fest steht. dass sich die Vormächte der schon erwähnten historischen europäischen Aggressoren, die sich für eine Provinz oder Stadt in Schussweite abmühten, ziemlich mickrig ausnehmen - angesichts der Dreistigkeit, mit der öffentlich diskutiert wird (und es ist leicht, sich auszumalen, wie die Geheimpläne aussehen), ob die Unversehrtheit New Yorks und San Franciscos am Rhein oder an der Elbe, in den Alpen oder in den Pyrenäen zu verteidigen sein wird. Der Lebensraum der US-amerikanischen Eroberer ist ein Band, das sich um die Erde legt. Es ist der Endpunkt einer Methode, die mit Aisopos (6) begann, als der Wolf zum Schaf sagte, es habe ihm das Wasser getrübt, obwohl es im Tal trinkt. Ob weiss, schwarz oder gelb - keiner von uns kann einen Schluck Wasser trinken, ohne die Cocktails zu trüben, die den Königen der plutokratischen Camorra in den amerikanischen Nightclubs serviert werden.
Als die amerikanischen Regimenter das erste Mal in Frankreich landeten, lachten sich die Militärtechniker schief und die anglo-französischen Generalstäbe flehten inbrünstig, ihnen doch die wenigen, an der westlichen Front im Quartier gehaltenen Verbände zu überlassen, wenn man Wilhelm nicht gleich in Paris sehen wolle... . Die damals wie heute angetörnten Boys hätten jedoch gut entgegnen können, dass es nichts zu lachen gebe. Heute macht uns ein Militarismus zu schaffen, der dem unserer jahrtausendealten Geschichte weit überlegen ist. Was im Kriege zählt, sind die Gelder, die Kapitalien, die produktiven Anlagen. Militärische Fähigkeiten und Tapferkeit sind Waren, die auf einem Markt verschleudert werden, der mit Superschlauen und Superdummen überfüllt ist.
Seitdem brüsteten sich die Amerikaner mit einem ersten Sieg; sie hatten die Nase darüber gerümpft, unter dem Druck der Engländer dem Isolationismus Ade sagen zu müssen; man zog sich wieder zurück, nachdem man ein absurderes Europa gezeichnet hatte als das, was seinerzeit ein Tamerlan oder Omer Pascha (7) gezeichnet hätten - wenn sie es geschafft hätten. Zwanzig Jahre Frieden war die Zeit, die für die Aufrüstung einer Super-Flotte, einer Super-Luftwaffe und einer Super-Armee gebraucht wurde - und für die Weihung der Super-Freiheitsstatue. Alles im Dienste der Super-Aggression.
In der Zwischenzeit hatten sich die Kolonen des Far West auch in bezug auf das Alphabet vervollkommnet und sogar die Geschichte studiert, ohne auf den unvergleichlichen Vorteil zu verzichten, keine zu haben. Man weiss nicht, ob es bei der 2. Landung in der Normandie Clark oder ein anderer hoher Offizier war, der - am Grab des für die amerikanische Unabhängigkeit eingetretenen französischen Generals - den sensationellen Ausspruch prägte:
»Nous voici, Lafayette!« (8),
was heisst, wir sind gekommen, die Gefälligkeit zu erwidern und Frankreich zu befreien.
In der Tat, ebenso wie die Moskauer Geschichtsbüchlein lehren, Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, hätte den Zaren Nikolaus seinerzeit gebeten, ein Freiwilligenkorps aufstellen zu dürfen, um zur Verteidigung der Mandschurei gegen die Japaner zu eilen, so lehrt man in Washington, dass der Franzose Lafayette in der durch das freie England angeführten demokratischen Weltallianz gekämpft habe, um Nordamerika zu befreien, das bis anhin eine unterdrückte Kolonie der Deutschen gewesen sei und dass diese seitdem in allen Kriegen danach trachteten, es anzugreifen und zurückzuerobern. Es kann gut sein, dass die Yankee-Lehrbücher in einer nächsten Ausgabe von einem antikolonialen Emanzipationskampf gegen einen Moskauer Eroberer sprechen, dessen unverschämte Absichten zur Revanche augenscheinlich seien - seit er begonnen hatte, sich für einige Pfund Gold zu verkaufen (9).
Auch beim 2. Unternehmen waren die militärischen Heldentaten nicht gerade erstklassig, aber auch in bezug auf die Kriegskunst verwandelt sich Quantität in Qualität. Was übrigens Clark angeht, wird gesagt, dass ihm gerade in Amerika der Ruhm der Schlacht von Cassino verwehrt wird. Vielleicht hat man entdeckt, dass es nie eine Schlacht bei Cassino und dass es nie eine Gustavlinie gegeben hat (10) (wie einige unversehrt gebliebene deutsche Soldaten und ein paar Hunderttausende italienischer Zivilisten, die fünf Monate lang bombardiert wurden, bezeugen können), bis man auf ein paar polnische, italienische und marokkanische Truppenteile traf, die man vorrücken lassen konnte, und die sich damit beschäftigten, alle Frauen zwischen 10 und 70 Jahren, und noch einige andere mehr, zu vergewaltigen, wobei mit weniger »teutschen« Grenadieren Feindberührung aufgenommen wurde als die Banditen Giulianos (11) mit römischen Polizeikräften hatten.
Einer der grossen Beschlüsse des amerikanischen Militärsynedriums in Sachen Europa betraf daher die italienische Wiederaufrüstung. Nachdem in den letzten Dezennien die demographische Stärke nicht mehr ein erstrangiger Faktor der militärischen Macht ist, spielt Italien bei den ganzen Bewegungen der Kolosse eine merkwürdige Rolle.
Während man im I. Weltkrieg an der Schwelle zumindest eines Versuchs des revolutionären Defätismus gestanden hatte, hat unser Land im II. Weltkrieg einen zur Gänze bürgerlichen Defätismus erlebt.
In der Periode der erfolgreichen deutschen Kriegsoperationen ist im Grunde niemand dem Krieg der Faschisten in den Rücken gefallen. Viele haben dies defätistischerweise gehofft, aber aus persönlichen Gründen. Mussolini stand ihnen und den Wonnen der Macht im Wege - das ist alles. Sie konnten den Armeen Benitos und Adolfs nicht in den Rücken fallen, da diese sich im Rücken der gegnerischen Armeen befanden.
Im Herbst 1942 wurde die Meldung herausgegeben, dass sich die amerikanischen Landungstruppen - nach langwierigen Diskussionen (und gegenseitigem Austricksen) mit den russischen Alliierten, die Tag für Tag an der Ostfront ausbluteten - an der marokkanischen Küste befanden, mit klarem Kurs auf das Mittelmeer, die italienische Halbinsel.
Es waren Etappen einer einzigen Invasion, die von Versailles 1917-18 direkt nach Berlin führte. Nur nach Berlin? Nein, ihr seinerzeit jubelnden Narren, auch direkt nach Moskau. Dafür, dass ihr grosse Spezialisten in Sachen Feinfühligkeit gegenüber geschichtlichen Veränderungen seid, kommt ihr heute mit eurem Geschrei gegen die imperiale Bedrohung und Aggression reichlich spät. Zu spät kommen wäre eine Sache, aber euch geht auch der Atem aus, ihr könnt die Millionen bei Stalingrad Gefallenen nicht wieder auferstehen lassen und in die entgegengesetzte Richtung losschicken. Niemand wird euch antworten.
Jene Meldung genügte, um den Kreuzweg vorauszusehen, den Italien zu gehen hatte. Zu Klassenzwecken, zu Revolutionszwecken richtet der Marxist seine Aufmerksamkeit auf die Zonen, in denen grössere Umwälzungen stattfinden. Aber diesmal war man mit Blindheit geschlagen. Mehr historischen Sinn besass der faschistische Rundfunk, der - sei es auch nur, um Wasser auf die eigenen Mühlen zu lenken - ein Propagandaliedchen spielte, das heute den gestrigen Alliierten des übermächtigen Amerikas besser zu Gesicht stehen würde, denjenigen, die das Scheitern der klassischen militärischen Gegenbewegung der italienisch-deutschen Armee in Tunesien (das anfangs dem neutralisierten Frankreich zugesichert worden war) bejubelten (12). Es war eine vom italienischen Heer (dem letzten italienischen seit Scipio (13) - und wir freuen uns darüber, dass es keine rein italienischen Armeen mehr geben wird; noch grösser wird die Freude sein, wenn die Armeen nicht mehr nach Nationen benannt werden) technisch gut durchgeführte Gegenbewegung, die aber wegen der Übermacht der in aller Ruhe auf der anderen Seite des Atlantiks angehäuften Mittel (während sich an der Wolga europäische Kadaver anhäuften) das grausame Schauspiel der Operation »Overlord« in der Normandie nicht verhinderte.
Die Patrioten, Nationalen, Volksitaliener freuten sich auf eine rosige Zukunft.
Aber wie war das mit dem faschistischen, nicht allzu blöden Liedchen. Es erinnert daran, dass Kolumbus Italiener war und der Refrain geht so:
»Colombo, Colombo, Colombo, chi te l'ha fatto fa'« (14).
Nach einer schon weit verbreiteten Mode ist zu befürchten, dass Stalin durch die Moskauer Historiker entdecken lässt, dass Kolumbus Russe war.
Notes:
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Source: »Prometeo«, Serie I, Nr. 13, 1949 (»Aggresssione all'Europa«). Übersetzung: Kollektiv H, Überarbeitung: sinistra.net, November 2001.
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