DIE BERLINER KOMMUNE: HART UND LANG IST DER WEG, GROSS UND WEIT ENTFERNT DAS ZIEL
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Die Berliner Kommune: Hart und lang ist der Weg, gross und weit entfernt das Ziel
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Die Arbeiterbewegungen, die sich im letzten Monat in Ostdeutschland entwickelt haben, beschränken sich nicht nur auf einen einzigen Tag in Berlin und nicht nur auf die Stadt Berlin allein, sondern haben sich mit naturwüchsiger Kraft auf alle proletarischen Zentren ausgedehnt und sich in verschiedenen Formen energisch wiederholt. Sie liessen sich weder durch die schlimmsten Repressionen abschrecken noch durch Versprechungen, tatsächliche Konzessionen und Rückzieher des Staates als Verwalter und gleichzeitiger Arbeitgeber; identisch mit der russischen Besatzungsarmee, der demokratischen Arbeiterrepublik, des kapitalistischen Staates und obersten Chefs. Es ist klar, dass die Tragweite dieser Bewegung weit mehr als nur eine Episode darstellt.
Jedoch nur mit äusserster Vorsicht könnte man darin den Beginn einer neuen Ära erblicken, und wenn man dies täte, müsste man gegen die korrupte Mode der dekadenten bürgerlichen Welt reagieren, die jederzeit einer Sensation oder etwas Unvorhergesehenem hinterherruft. Die Zusammenstösse bestätigen, was für uns von jeher selbstverständlich war: dass die Tatsache des physischen Klassenkampfes zwischen Lohnarbeitern und industriellen Betriebsverwaltern weder ausgemerzt noch vermindert werden kann durch Hilfsmittel der reformistischen Zusammenarbeit oder dem Apparat des disziplinarischen Terrors. Das Betriebssystem, gleich welcher Art es auch sei, erfordert mehr Produktion bei weniger Konsum, und der Interessengegensatz zwischen Betrieb und Proletarier mündet in einen offenen Kampf und in Gewaltakte, die direkte Arbeitsverweigerung nach sich ziehen, Die Spannung ist zweifellos gross, wenn man durch die Waffe des puren Streiks bedroht ist, den man nicht mit militärischen Aktionen niederschlagen kann, - mit Massnahmen wie der Ausrottung oder der Ausmerzung eines jeden zehnten oder eines jeden hunderten der streikenden Arbeiter, wie man es nach der Niederlage von Caporetto, nach der Niederlage an der italienischen Front tat. Diese Massnahmen stehen tatsächlich im Einklang mit der Erfordernis der maximalen Ausbeutung der Arbeitskraft! Dies alles ist ein Symptom dafür, dass für die Bürgerlichen viel mehr auf dem Spiel steht, als die Schliessung von Betrieben oder die Aufstellung von Bilanzen.
Es handelt sich um mehr: man kann, ohne in Optimismus zu verfallen, vermuten, dass es sich um ein Proletariat handelt, das sehr wohl in der Lage ist, weiterzusehen als das einfache Verhältnis zwischen grösserer Entlohnung und kleinerer Mühe in der Arbeit und kleinere Profite des Geschäfts oder - was auf das gleiche hinausläuft - auf einen geringeren Ertrag gegenüber den ihnen auferlegten Produktionsquoten. Hier handelt es sich um das deutsche Proletariat, das nicht erst seit gestern in den Höllenkreis der kapitalistischen Produktion eingetreten ist, das eine lange und reiche Geschichte hinter sich hat: nicht nur wegen unmittelbarer ökonomischer und gewerkschaftlicher Forderungen, sondern das sein leidenschaftliches Leben in mächtigen Organisationen zum Ausdruck brachte, sowie in einer Tradition der Partei, der politischen Lehre und Theorie, in der die sozialen Schlüsse der Klasse sowie die Bestrebung nach einer den Markt- und Lohnverhältnissen entgegengesetzten Gesellschaft jahrzehntelang hartnäckig erprobt wurden. Selbst für diese Gruppen von Proletariern, die sozusagen die physiologische Möglichkeit gehabt haben, den Weg zwischen den unmittelbaren und beschränkten Handlungen des wirtschaftlichen Kampfes bis hin zu der sozialen und revolutionären Forderungen, ist es jedoch nicht leicht, die Gefahrenzone zu überwinden, die von einer Wiederaufnahme der revolutionären Tätigkeit - sei sie auch noch so grossartig - zu der Bildung eines Organisationsgewebes und eines politischen Programmes führt; Bedingungen, die den einzigen Weg darstellen, auf dem der Kampf sich in einen Sieg auflöst!
Der westliche Kapitalismus stürzte sich mit seiner Propaganda sofort auf die Arbeiterklasse Ostdeutschlands mit ihren ungeheuren Bemühungen und mit ihrem Bluttribut. Diese Propaganda besteht voll und ganz aus der stinkenden Ideologie der Klassenzusammenarbeit, des Sozialpazifismus, des Abscheus vor der Gewaltanwendung und vor der Aufruhr im gewerkschaftlichen Kampf. Und dennoch hat diese Propaganda keine Anstrengung gescheut, um Solidaritätskundgebungen zu inszenieren, in denen den Aufständischen von Berlin und des Ostens Beifall geklatscht wurde. Sie machte sich in den demokratischen Parlamenten breit, in den Gewerkschaftskongressen sowie bei den Sozialdemokraten. Da kamen die zur Schau gestellten Hilfs- und Asylangebote für die Flüchtlinge; die Beihilfen gingen sogar bis zu Gratis-Lebensmitteln, die an die aufrührerischen Arbeiter verschenkt, im wesentlichen eine Form darstellen, um die wirtschaftlich unerträgliche Lage der Arbeiterklasse zu Gunsten der DDR-Regierung zu mildern: so wird weniger vom lokalen Produkt konsumiert. Mehr noch: auf die dumm-lächerlichen Solidaritätserklärungen von seiten sogar der christlichen »Gewerkschaftler« hat sich eine ganze Propaganda entfesselt, die die Unzufriedenheit wegen des Mangels an Lebensmitteln in allen »Satelliten«-Staaten Russlands hervorhob. Dementsprechend schlug sie hastige und unzusammenhängende Gegenreformen vor, damit in der Industrie, dem Handel und der Landwirtschaft »Privatformen« wiedereingeführt würden, indem sie behauptete, dass die Massen gegen den »Kommunismus« und die »marxistischen Methoden« demonstrierten.
Auf der einen Seite diente es den Zwecken der bürgerlichen Zeitungskorrespondenten, der Bewegung einen offenen revolutionären Charakter zuzuschreiben: sie behaupteten, dass die Arbeiter alles am 16.Juni kontrollierten, als die militärische Repression losschlug. Sie gingen sogar soweit, dass sie daran erinnerten, wie Lenin sich einmal die Frage gestellt hatte, wie es der Marxismus erkläre, dass die Bauarbeiter geschichtlich immer die Aufstände einleiteten (sie sind die beweglichsten und am allerwenigsten bürokratisierten Arbeiter der Unternehmen: der stets wechselnde Bauplatz eignet sich wenig für die Idealisierung der »Selbstverwaltung des Betriebs durch die Arbeiter«, etwa in Form des Ordinovismus, der sich in Italien breitmachte, oder der Einführung von Zellen vom Typ der »Bolschewisierung«; noch dazu arbeiten sie eng verbrüdert mit einer ganzen Reihe von »Gewerken«). Damit wollten sie auf der anderen Seite einflüstern, dass die Befreiung von den »kommunistischen« Verhältnissen gefordert würde, welche die Quelle des ganzen Elends seien. Die Mitglieder und Verdummten der offiziellen kommunistischen Parteien waren hauptsächlich dadurch beeindruckt, dass es unter den Aufständischen einige »Provokateure« gegeben hätte; wir sind dadurch beeindruckt, dass diese prächtige Welle der Klasse gegen den Hunger und die Betriebsunterdrückung zu einer Verherrlichung der bürgerlichen Industrie führen kann! Die Schuld und die Verantwortung vor der Geschichte tragen dafür die entarteten Kominformisten mit ihrer tölpelhaften Behauptung, dass der Kommunismus die Mischung einer merkantilen »Ordnung« mit einer geschäftssüchtigen Staatsverwaltung sei, welche sich über die wackelnden Ökonomien Zentral- und Osteuropas austobt - mit einer Orgie der Zusammenarbeit von gefälschten Theorien, technischen Eseleien und Diebereien der Verwaltung.
Es ist wohl möglich, dass Arbeiter, die mit beruflichen und allgemeinen Kenntnissen auf der Höhe von denen der deutschen begabt sind, verstanden haben, wie der äusserst hohe Abzug von unbezahlter Arbeit auf die gegenwärtige, die lebendige Arbeit drückt und wie dieser Druck von den Reparationen des Landes zu Gunsten des russischen Staates abhängt: von der Abgabe einer Unmenge von produzierten Gütern in Höhe von Tausenden und Milliarden Arbeitsstunden, - und dass auf diesem Weg ein technischer Industrieapparat als einer der ersten der Welt (der imstande ist, lokal mit einer geringeren Summe von Arbeitsstunden zu ernähren und sogar einen höheren Konsum gewährleistet als der des »prosperen« Amerika) eine unerbittlichere Superausbeutungsmaschinerie wird als die, die in den halbasiatischen Steppen funktioniert, wo man zum ersten Mal investiert und schon Milliarden und Abermilliarden Arbeitsstunden, d.h. menschliches Fleisch und Blut einverleibt.
Es war also schwieriger für diese Arbeiter zu verstehen, dass in dem darauffolgenden Zusammenstoss der politischen und bewaffneten Kräfte - falls es für einen Moment der improvisierten Bildung einer aufrührerischen proletarischen Macht gelungen wäre, jeden Gegner von Ostberlin zu vertreiben - dass unmittelbar danach die Streitkräfte der Alliierten und der westlichen Regierungen die Demarkationslinie überschritten und dass sie sofort nach Wiederherstellung der Ordnung - wie es in den heiligen Verträgen steht - die Gevatter des Ostens gerufen hätten, um sie wieder in ihr Gut kommen zu lassen: um eine Ordnung zu kontrollieren, die durch den grossen Sieg - mit Majuskel V - der russischen und amerikanischen Verbündeten eingeführt wurde.
Dies war umsomehr zu befürchten, als die wenigen Nachrichten, die durchgesickert sind, über den Organisationskeim der prächtigen Arbeiter von Berlin sprechen, z.B. von einem »Bund gegen die Entmenschlichung«, was den Gedanken an eine Kampflosung erweckt, die danach strebe, »die Lebensweise des Westens an Stelle der Lebensweise des Ostens« zu setzen. Die Kampagnen für »freie Wahlen«, die alles regeln würden, gehen in dieselbe Richtung. Sodann wäre es sehr wahrscheinlich, dass die ersten Keime des antirussischen und antistalinistischen Kampfes dazu getrieben worden wären, Kerne des Kampfes zu Gunsten des Westens zu werden; also Waffen in Händen der amerikanischen Propaganda und Kampagne, und da werden die unbeschrittenen Schritte nach vorn zu Schritten nach rückwärts: sei es im Rahmen einer Stadt oder auf der Ebene der ganzen Welt, nichts konterrevolutionäreres kann man finden als die Organisation der amerikanischen Krake.
Der richtige Weg ist also schwierig und kann unmöglich kurz sein; denn da kann man leicht voraussagen, dass er im Spiel des Pentagons oder des Fort Knox mündet, d.h. der Pfeiler, der stärker ist als der Kreml.
Im entgegengesetzten Lager besteht für alle das grosse Problem der heutigen Welt darin, Europa zu organisieren und dies hängt vom Problem der deutschen Einheit ab; für die beiden Gruppen von zähnefletschenden Gegnern besteht der Kampf nur darin, dass der eine dem anderen diese Fahne wegstiehlt, und es kümmert sie nur wenig, wenn sie gemeinsam erklären, dass Europa und die Welt in Ordnung wären, sobald der deutsche Staat, Nation und - warum nicht? - Rasse in die Brüche gegangen sind.
Das Problem der deutschen Einheit ragt hervor und wird glühend im Feuer des gespaltenen Berlins, wo jede der beiden imperialistischen Gruppen einen einzigen Staatsapparat sehen möchte, um ganz Deutschland und sogar das europäische Sternbild - das von ihm beherrscht wäre - kontrollieren zu können.
Der einzige revolutionäre Weg ist, dass es diesem grossen Proletariat in der Phase dieses dramatischen Prozesses gelingt, sich den Wechselfällen einer Pendelbewegung zwischen den beiden Anziehungspolen des Ostens und Westens zu entziehen, indem es seine eigene, selbständige Bahn verfolgt. Nicht so, wie es dem Krieg der Hohenzollern folgte oder den Krieg Hitlers ertrug, sondern wie gegen Ende von 1918: nachdem es die einheimische Monarchie vertrieben hatte, versuchte es, die an die Sieger verkaufte Weimarer Republik niederzureissen und verfehlte nur knapp das Ziel, das unsere heutige Zeit vielleicht umgestaltet hätte: Diktatur der Arbeiter in Berlin! Auf dieses Ziel hin hatte die kritische Aktion der Bolschewiki und der Spartakusleute gegen den nationalen Sozialismus jeder Art gewirkt; darauf hatte auch die Organisation der revolutionären Internationale gewirkt. Zu kurz (wahrscheinlich) war die Phase des Bruches in dem Zusammenfall.
Wenn durch den Aufstand des an Quantität und Qualität mächtigen Proletariats des grossen Berlins eine Lösung des Problems der Organisation Europas gegeben sein wird, so wird dies nur auf Grundlage eines theoretischen, organisatorischen, politischen und militärischen Programms möglich sein, und zwar in einem Bürgerkrieg gegen die Armeen von Ost und West - einer Kommune von Berlin. Von ganz Berlin! Dies wäre die Arbeiterdiktatur in ganz Deutschland, in Europa die Weltrevolution. Um einen solchen Weg zu versperren, bemühten sich die Streitkräfte beider Lager das besiegte Deutschland in Ketten zu halten und tun es noch. Als die Kommunarden von 1871 sich gegen Thiers erhoben, der die Kapitulation von Paris und die Mitwirkung der Preussen wollte, und die nationale Armee aus der Stadt hinauswarfen, so war dies keine patriotische Reaktion, sondern zum ersten Male das Entstehen einer Situation, die Marx mit folgenden Worten kennzeichnete: alle nationalen Heere verbündeten sich von nun an gegen das Proletariat!!!
Solche Situationen sind nicht neu in der Geschichte. 1944 erhob sich furchterregend Warschau, um die Deutschen zu verjagen. Die Russen machten Halt und warteten bis die Repression mit ihrem unbeschreiblichen Gemetzel und ihren Verwüstungen vorbei war - in einer Haltung, die jener Bismarcks glich, jenes Bismarcks, der im Waffenstillstand der Republik Thiers diktierte: beschmutzt ihr euch die Hände mit den Exekutionen, oder wir greifen an. Es ist wohl möglich, dass heute die ersten Kerne, nachdem sie vergeblich mit dem Apparat des einen der beiden Ungeheuer zusammengestossen sind, in die Versuchung geraten, Bündnis und Hilfe beim anderen zu suchen: so verraten sie ihre eigene historische Aufgabe. Jede solche Illusion wäre dumm und erfolglos.
Mit Hartnäckigkeit muss man zu Klassenpositionen zurückkehren, indem man das Rückgrat wieder aufrichtet, das so fürchterlich in den demokratischen Kriegen gebeugt wurde: in den patriotischen und Partisanenwiderstandsbewegungen, in den unglückseligen Einheitsfronten und in dem Wunderglauben an legale Lösungen, die auf Mehrheitsbeschlüssen beruhen oder die Gewalt ausschliessen. Es mag wohl sein dass das Proletariat der grossen Hauptstadt des fortgeschrittensten Industrielandes, des die Sprache spricht in der schon Marx das Manifest und das Kapital schrieb, dass dieses Proletariat zu den Waffen greift, die schon die Avantgarde von Liebknecht und Luxemburg ergriffen hatten, um die Entscheidungsschlacht aufzunehmen, die Lenin, Trotzki und wir alle erwarteten, um der Welt die erste siegreiche Kommune zu schenken
Dazu müssten sie beide Heere zerschlagen die im imperialistischen kalten Krieg Gegner sind, sich aber im Bürgerkrieg zur Verteidigung des Weltkapitals verbünden!!!
Source: »Kommunistisches Programm« [damals herausgegeben unter dem Titel: »Auszüge aus der Presse der Internationalen Kommunistischen Partei«], Nr.1, 1974, übersetzt aus »Il Programma Comunista«, Nr. 14, 23 Juli - 24 August 1953
Hervorhebungen und Absatzumbrüche wurden dem italienischen Originaltext angepasst. sinistra.net, april 2000
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